Ist die Zeit des Bewerbungsanschreibens abgelaufen?
Von Walter Brandl am 22/08/2016Das Bewerbungsanschreiben sorgt immer wieder für Diskussionsstoff – und das nicht nur bei Bewerbern, sondern auch bei Personalern. Anschreiben, Lebenslauf, Zeugnisse: so sieht eine klassische Bewerbung aus – ob auf Papier oder online. Und warum? Weil es schon immer so war. Viele Unternehmen verzichten jedoch mittlerweile auf das Bewerbungsanschreiben. Das Hauptargument der Anschreiben-Gegner: „Kein Bewerber will es schreiben, kein Recruiter liest es.“ Stimmt das wirklich? Und gibt es nicht bestimmte Situationen, in denen Anschreiben sinnvoll sind?
Wofür das Anschreiben genutzt wird
Bevor wir uns die Argumente der Gegner und Befürworter anschauen, sollten wir uns erst einmal ansehen, wofür das Anschreiben eigentlich genutzt wird. Für viele ist das Bewerbungsanschreiben der wichtigste Teil der Bewerbung. Im Schreiben erfährt der potentielle Arbeitgeber, auf welche Stelle sich der Bewerber bewirbt und warum er das tut. Der Bewerber kann im Anschreiben:
- den Empfänger direkt ansprechen
- seine Bewerbungsabsicht mitteilen
- erläutern, warum er sich für das entsprechende Unternehmen entschieden hat
- die entsprechende Stelle, für die er sich interessiert, benennen
- seine sprachlichen Fähigkeiten unter Beweis stellen und
- seine Vorfreude auf ein persönliches Gespräch bekunden
Pro-Argumente für das Bewerbungsanschreiben
Für die meisten ist das Bewerbungsanschreiben unverzichtbar. Das hat verschiedene Gründe:
- Fehlt das Anschreiben, besteht die Gefahr, dass Personaler die Bewerbung nicht korrekt zuordnen. Vor allem in großen Firmen kann hier der Bewerbungsprozess verzögert werden.
- Drüber hinaus ermöglicht es Berufs- und Quereinsteigern zu erläutern, warum man diesen beruflichen Weg einschlagen bzw. warum man sich beruflich neu orientieren möchte.
- Im Lebenslauf werden die Vergangenheit und Gegenwart des Bewerbers deutlich. Die gewünschte Zukunft gibt das Anschreiben wieder.
Kurzum, für eine individuelle Darstellung der beruflichen Ziele und Wünsche ist das Bewerbungsschreiben unerlässlich.
Argumente, die gegen das Bewerbungsanschreiben sprechen
So einleuchtend die Pro-Argumente auch sein mögen, immer mehr HR-Abteilungen sprechen sich gegen das Anschreiben aus. Ihr Argument: Die meisten Bewerberanschreiben seien wenig aussagekräftig und werden daher gar nicht mehr gelesen. Deshalb und aus zeitlichen Gründen würde man sich nur noch auf den Lebenslauf konzentrieren.
Das Thema Lebenslauf stand in den letzten Jahren stark im Fokus. Vor etwa 20 Jahren reichte es aus, seine Arbeitsstellen chronologisch aufzuzählen. Heute bevorzugt man die „amerikanisierte“ Version mit Fokus auf Skills, Leistungen und Erfolge – sehr zur Freude der Personaler. Ihrer Meinung nach genügen zwei Seiten Lebenslauf, um entscheiden zu können, welcher Bewerber eingeladen wird und welcher nicht. Die Motivation des Bewerbers kann dann im persönlichen Gespräch erfragt werden. Weitere Gründe, die gegen das Bewerbungsanschreiben sprechen:
- Anschreiben sind nicht mehr zeitgemäß und passen nicht in moderne Bewerbungsprozesse
- Im Anschreiben wird außerdem schier Unmögliches von den Kandidaten verlangt: es soll individuell geschrieben sein, gleichzeitig müssen sich die Bewerber allerdings an bestimmte Formalien halten und sollen nicht zu auffällig bzw. aufgesetzt schreiben.
- Darüber hinaus wird verlangt, dass die Persönlichkeit des Bewerbers mit dem Schreiben hervorgebracht wird. Fähigkeiten, Ziele und die eigene Motivation sollen möglichst ausführlich präsentiert werden. Und das alles im besten Falle auf einer Seite.
Mit dem Bewerbungsanschreiben setzen sich die meisten Kandidaten ziemlich unter Druck. Doch wer übt, fleißig ist und sprachliches Geschick beweist, bewältigt auch diese Aufgabe. Die Motivation dazu sinkt allerdings, wenn man weiß, daß es sowieso nicht gelesen wird. Warum dann also nicht von Anfang an auf das Anschreiben verzichten? Das spart Personalern viel Zeit und den Bewerben viele Nerven. Können nicht alle wichtigen Punkte, die für das Anschreiben sprechen wie z.B. die Benennung der Stelle, die gewünschten Einsatzorte etc. einfach im Lebenslauf integriert werden?
Vielleicht sollte man zukünftig von Branche zu Branche und von Stelle zu Stelle unterscheiden. Richtet sich eine Stellenausschreibung in erster Linie an Berufseinsteiger, kann es sehr sinnvoll sein, ein Anschreiben zu verlangen. Gleiches gilt für Quereinsteiger. Denn hier haben die Kandidaten die Möglichkeit, die beruflichen Erfahrungen, die ihnen im Lebenslauf fehlen, mit einem überzeugenden Motivationsschreiben zu kompensieren.
Letztendlich liegt die Entscheidung für oder gegen ein Bewerbungsanschreiben bei den Unternehmen und HR-Abteilungen. Doch halten wir fest, in den meisten Situationen wird das Anschreiben nicht kriegsentscheidend sein. Und in solchen Fällen, in denen es sowieso keine Rolle spielt und nicht gelesen wird, tun sich Unternehmen selbst und auch den Bewerbern einen Gefallen damit, wenn sie von vornherein auf das Anschreiben verzichten.